In der Kaiserzeit gelangen alle literarischen Gattungen außer dem Drama zu einer Blüte, und dies sowohl im lateinischen als auch im griechischen Bereich. Es ist hier ganz unmöglich, alle Autoren und Werke auch nur zu nennen, aber es soll zumindest ein erster Einblick in das reiche Schaffen der Literaten in den ersten beiden Jahrhunderten gegeben werden. Ich möchte zuerst auf einige lateinische, dann auf griechische Autoren eingehen. Grundsätzlich gilt, dass sich die anspruchsvolle Literatur der Kaiserzeit auf welche Weise auch immer mit dem neuen Regierungssystem des Prinzipats auseinandersetzt, und die Intellektuellen ganz verschiedene Antworten auf die veränderte Rolle der politischen Eliten finden, denen sie selbst oft angehörten.
Im Bereich des Epos schafft Vergil mit seiner Aeneis zu Beginn des Prinzipats ein Nationalepos, das in seiner Wirkmächtigkeit gar nicht überschätzt werden kann. Er gibt den Römern eine bedeutende mythologische Herkunft (von den Trojanern) und stellt sie damit auf eine Stufe mit den Griechen. Vergil avancierte im Mittelalter zum Dichterfürsten schlechthin. An seinen Texten lernten Generationen von Schülern im Mittelalter Latein.
Im Bereich der Lyrik lotet Horaz mit seinen Oden und Epoden die Grenzen dessen aus, was in der lateinischen Sprache ausgedrückt werden kann. Die Elegien des Properz und Tibull gehören zur Weltliteratur. Ovid hat mit seinen Metamorphosen einen bleibenden Beitrag zur Kanonisierung antiker Mythologie geliefert. Mit seiner schlüpfrigen Ars amatoria zog er jedoch den Groll des Augustus auf sich und musste ins Exil nach Tomi am Schwarzen Meer. Persius, der sich Horaz zum Vorbild nimmt, schreibt sechs glänzende Satiren und verstirbt jung unter Nero. Lucans Pharsalia, eigentlich de bello civili, ist ein grausiges, groß angelegtes Epos über den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius. Nicht etwa Actium wird gefeiert, sondern Pharsalos kommemoriert, nicht Caesar gehuldigt, sondern der unterlegene Cato. Kühn für ein Epos baut er keinen Götterapparat ein. Möglicherweise da er den Neid Neros auf sich zog bzw. in die Pisonische Verschwörung verwickelt war, wurde er zum Selbstmord gezwungen. Martial aus Hispanien ist der Meister des knappen Epigramms, der bissigen Pointe, der in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts bei allen Kaisern antichambrierte, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Juvenal schließlich ist der Meister der lateinischen Satire. Berühmt ist seine sogenannte Weibersatire, die sich woh...