Die Vorstellung, dass sich der Mensch sich als Ebenbild Gottes betrachten kann, ist für viele eine befremdliche Vorstellung. Kerngedanke der christlichen Anthropologie ist die Schöpfung des Menschen im Buch Genesis durch Gott nach seinem Bild. Wer, wenn nicht der Halbgott in Weiß, entspräche nach unseren allgemeinen Vorstellungen eher diesem Ebenbild. Regelmäßige Untersuchungen des Allensbacher-Instituts ergeben, dass Chirurgen unter allen Berufsbildern und auch Arztgruppen das größte Ansehen genießen; daher sind sie auch in den Arzt- und Krankenhausserien die häufigsten Protagonisten und werden oft als Helden dargestellt. Die klassischen eschatologischen Fragen nach Schicksal, Überleben und Tod sind gleichzeitig auch die spannendsten Inhalte mit der größten Fallhöhe für die Rezipienten. Der Chirurg wird als Herr über Leben und Tod gezeigt. Im Gegensatz zu den hausärztlichen und konservativ tätigen Kollegen ist unsere Arbeit geheimnisvoll, schicksalhaft und findet im Verborgenen statt. Eigene Studien zeigen, dass bereits die mediale Kultivation unserer Patienten zu einer signifikanten Verzerrung des Bildes vom Chirurgen führt. Erwartungen, Hoffnungen und die Überhöhung des wahren Retters legen den Aspekt der Gottebenbildlichkeit nahe. Trotz der gottgewollten Ebenbildlichkeit können wir übersteigerte Erwartungen oft nicht erfüllen. Doch was impliziert dieser biblische Auftrag wirklich? Jede göttliche Freiheit ist mit ebenso großer Verantwortung verbunden. Als Konsequenz müssen sich die Chirurgen vollumfänglich ihrer Autonomie stellen und ihre Gewissensfreiheit im Sinne der Patienten nutzen. Dieser Beitrag soll bewusst ungewohnte Impulse zum Selbstverständnis des Chirurgen in seinem Gesamtbild geben.